Teil 3: Gute Nachbarschaft war lebenswichtig
- Peter Feßl
- 13. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Erinnerungen von Peter Feßl. Das Pfaffenhofener Mesnerhaus ist nicht nur ein Denkmal. Es war auch ein Zuhause. Autor Peter Feßl, der dort in den Nachkriegsjahren aufgewachsen ist, widmet dem fast 240 Jahre alten Haus eine kleine Serie – und erzählt im ersten Teil von der letzten Familie, die dort wohnte.

Unvorstellbar heute, wie sich Leben vor einem dreiviertel Jahrhundert abspielte, mitten im Zentrum einer Kreisstadt mit 8000 Einwohnern. Empfand man im Mesnerhaus eine gewisse Enge, präsentierte sich die Umgebung, wo ja die Auenstraße in die Scheyerer Straße mündet, als eine befreiende Weite.
Die kleine Anlage mit Bäumen und Brunnen war der ideale Spielplatz, besser gesagt: die Mitte eines gewaltigen Spielplatzes, denn leere Straßen drum herum gehörten selbstverständlich zum Aufenthaltsbereich für Kinder. Gefährlich konnte es kaum werden, denn wenn sich einmal ein Auto verirrte, konnte man sicher sein, dass es in Schrittgeschwindigkeit ums Mesnerhaus kurvte. Man hatte kein Auto und man brauchte kein Auto, Ausnahmen waren Polizei, Feuerwehr und Handwerker, vielleicht noch der Tierarzt. Am bedrohlichsten waren die amerikanischen Panzerkolonnen, die allerdings nur alle paar Monate auf der Scheyerer Straße stadtauswärts donnerten und das Haus zum Zittern brachten, wenn die schweren Ketten die Straße schändeten. „Dass sie da sind, ist schlimm und gut zugleich“, sagte meine Mutter Anny immer wieder. Diesen Widerspruch konnte ich erst viel später für mich auflösen.
Die spannendsten Fahrzeuge waren freilich die Fuhrwerke, die jeden Dienstag am Oberen Hauptplatz beim Wochenmarkt zu beobachten waren. Beim „Fakimarkt“ wechselten Dutzende Ferkel ihren Besitzer und die kleinen quietschenden Tiere taten mir immer leid, wenn sie an den Hinterbeinen durch die Gegend gehutscht wurden. Dennoch war ein Besuch des Schauspiels zwingend, gehörte es doch zu den Höhepunkten der Woche. Selber Hand anlegen und den Bauern helfen, das gehörte bei der Hopfenernte unbedingt dazu. Alle Familienmitglieder zupften die Dolden direkt im Hopfengarten in eine Hopfakirm. Pro Kirm wurde am Ende bezahlt. Wir waren im Hufnagel-Hopfengarten aktiv, wo heute das Krankenhaus steht, da war für zwei Wochen unser Arbeitsplatz. Herr Preisinger, der Besitzer, versorgte uns jeden Mittag mit einer kräftigen Suppe. Was Schöneres und Besseres konnte man sich zu dem Zeitpunkt kaum vorstellen. Zwei Teller jeden Tag ließ ich mir mindestens schmecken!
Einkaufen war bequem fußläufig möglich, kleine Geschäfte in unmittelbarer Nähe gab es reichlich: Zwei Metzger und drei Bäcker waren für die Kundschaft da. Der Metzger Mayer, gleich gegenüber, wo heute ein netter Buchladen zu finden ist, war etwas näher, der Metzger Sieber an der Einmündung der Schulstraße war ein paar Meter weiter, aber er war mir lieber, weil man bei ihm zwei „Radel“ Gelbwurst geschenkt bekam als Kind, während „beim Mayer“ gab´s nur ein einziges. Ich reimte damals gern und summte vor mich hin „da Mayer is ma z` deia, der Sieber ist mir lieber“. Dabei wechselte die Stimme ins vornehmere Deutsch.
An der Einmündung der Kellerstraße hatten wir die Auswahl zwischen zwei Bäckern. Auf der einen Seite die Schäch-Fanny, nach der heute der berühmteste Kreisel benannt ist, und gleich gegenüber in einem wunderschönen Haus, das heute Denkmalcharakter hat, der Bäcker Schattenhofer.

Der Bäcker Ritter war der Dritte im Bunde. Am oberen Hauptplatz, gleich „neben dem Pfaffl“ steht heute noch unter dem Namen „Ritterhaus“ eines der prächtigsten Häuser Pfaffenhofens. Ritter war mein Lieblingsbäcker, man war der Familie freundschaftlich verbunden und ich wurde oft mit einer knusprigen Breze verwöhnt. Das war etwas ganz Besonderes. Und die etwa gleichaltrige Tochter Eva war eine Spielkameradin, im Hof hinterm Pfaffl konnte man wunderbar schussern, die Bodenunebenheiten machten das Spiel spannend. Sie konnte auch wunderbar erzählen vom Kunstmaler Michael Weingartner, der im oberen Stockwerk sein Atelier hatte und Eva das Privileg, dort malen zu dürfen. Ich beneidete sie.
Ich hatte ein anderes Privileg: Gegenüber vom Mesnerhaus, wo heute Daubmeier beheimatet ist, gab es einen „Gubi“. Das war die Abkürzung für „Gut und billig“, einer Lebensmittelkette, die aus dem Schwäbischen kam und in Donauwörth ihre Zentrale hatte. Heute ist der Name unbekannt, ab 1987 gehörten die Läden zu Tengelmann. Jeden Nachmittag, so gegen vier Uhr, erwartete ich hinter einem Fenster im ersten Stock, das zur Scheyerer Straße zeigte, einen Lieferwagen, der anhielt und über die geöffnete Heckklappe interessante Kisten mit Waren auslud. Mit einem kleinen handgezogenen Rollwagen landete das wertvolle Gut an der Ladentür und verschwand. Das war unterhaltsam. Dieses tägliche Ritual wurde jäh beendet, als eines Tages die Kisten und Schachteln seitlich zum Gehsteig hin ausgeladen wurden und der Vorgang sich meinen neugierigen Blicken entzog.
Unsere eigenen Einkäufe waren notgedrungen sehr bescheiden, und trotzdem oder gerade deshalb bekam ich zuweilen eine Banane oder im Winter eine Mandarine zugesteckt von den liebenswürdigen Verkäuferinnen im kleinen Gubi-Laden. Aber das Einkaufen war nicht die Quelle der schönsten Erinnerungen. Nein, es waren menschliche Begegnungen und das wohlige Gefühl des Geborgenseins in einer Gemeinschaft, wo so mancher versuchte, mir den verstorbenen Vater ein bisschen zu ersetzen. Die ganze Serie im Pfaffenhofener Kurier.
Initiative "Unser Mesnerhaus"
Das Mesnerhaus zählt zu den ältesten Gebäuden Pfaffenhofens. Es steht leer – und zum Verkauf. Damit dieses kulturgeschichtlich wertvolle Haus nicht in anonyme Hände fällt, möchte der Freundeskreis Mesnerhaus, eine Gruppe engagierter Bürgerinnen und Bürger, es in einer Genossenschaft erwerben, sanieren und wieder mit Leben füllen. Die Vision: ein offener Ort für Ausstellungen, Veranstaltungen, Bildung und Begegnung – mitten in der Stadt, getragen von der Bürgerschaft selbst.
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